Wohnen muss klimafreundlicher werden. Darin sind sich Wohnungswirtschaft, Politik und Gesellschaft einig. Der Weg zur Klimaneutralität ist aber noch weit und in vielfacher Hinsicht herausfordernd. Auffällig ist eine merkwürdige Diskrepanz zwischen den Leuchtturmprojekten in der Fachpresse und den Schwierigkeiten, den gesamten Wohnungsbestand in gut 20 Jahren klimaneutral umzugestalten. Wie lässt sich die Lücke schließen?
Sprechen Politik, Wohnungswirtschaft und Öffentlichkeit über klimagerechtes Wohnen im Bestand, meinen sie meist die energetische Ertüchtigung der Gebäude. In jüngerer Zeit spielen aber auch zunehmend die Art der Energieversorgung, respektive der Einsatz erneuerbarer Primärenergie eine Rolle.
Vision versus Alltag
Die Lösungen, die auf Kongressen und Fachtagungen vorgestellt werden, klingen innovativ und einfach: Die Elektroautos der Bewohner werden über hauseigene Wallboxen geladen; der Strom kommt von der PV-Dachanlage, ebenso die Energie für die Eisspeicher. Künstliche Intelligenz und Smart-Home-Lösungen steuern Heizungsventile und Spitzenlastkessel. Die Mieter erhalten über Mieterstrom günstige Ökoenergie. Finanziert wird der Umbau durch Fördermittel von EU, Bund, Ländern und Kommunen.
Betrachtet man den Ist-Zustand in vielen Wohngebäuden – besonders in den hunderttausenden Mehrfamilienhäusern in den Händen von Kleinanlegern und Privatinvestoren, sieht die Situation etwas anders aus: Verdampferrohre an den Heizkörpern bestimmen noch immer das Bild. CO₂-Bilanzierung und Verbrauchsanalyse gibt es nicht. Die Umstellung der Heizsysteme ist kompliziert. Der Boom der Gasthermen in den vergangenen Monaten ist bezeichnend.
Warum ist das so? Am mangelnden Willen zumindest der unternehmerischen Wohnungswirtschaft liegt es nicht – so unser Eindruck aus zahlreichen Gesprächen mit Führungskräften. Es fehlt u.a. an den nötigen Fachleuten, die sich mit Klimapfaden, Nachhaltigkeitsreporting und Primärenergiefaktoren auskennen. Oder anders gesagt: Die Komplexität der Herausforderung, in 2045 (oder auch früher) klimaneutral zu sein, stellt nicht nur kleine und mittlere Wohnungsunternehmen vor erhebliche Herausforderungen.
Handlungsfelder zur Klimaneutralität
Eine 360 Grad-Betrachtung zeigt vier Management-Herausforderungen, die es zu bewältigen gilt.
Klimastrategie: Wie sieht der Weg zur Klimaneutralität aus? Von der Konzeption über die Umsetzung bis zur regelhaften Überprüfung auf der Zeitschiene?
Regularien: Welche technischen, politischen und rechtlichen Anforderungen sind zu erfüllen? Wie können realistische Prognosen über deren Entwicklung abgeleitet werden?
Wirtschaftlichkeit: Wie sieht eine gesicherte Finanzierung aus, ohne in Abschreibungsfallen zu tappen? Wie muss die Mietenpolitik verändert werden, um Finanzierungsspielräume zu erweitern?
Planungshorizont: Wie sieht eine Planung unter sich ständig ändernden regulatorischen Rahmenbedingungen und technischen Innovationen aus? Es müssen laufend Entscheidungen getroffen werden, obwohl nicht alle Parameter bekannt sind oder für einen längeren Zeitraum feststehen.
Generalisten als Wegbegleiter
Die skizzierten Aspekte zeigen: der Weg ist steinig. Vielfach ist auch der Blick in den Unternehmen verengt auf den „baulichen Zustand“, also auf die energetische Ertüchtigung. Um aber die vier oben genannten Aspekte gleichermaßen im Blick zu behalten, haben sich „spezialisierte Generalisten“ bewährt, die sich einerseits durch Gesetzesvorgaben und technische Produktbeschreibungen wühlen. Andererseits müssen sie alle relevanten Handlungsfelder und Einflussgrößen auf dem Schirm haben und deren Beachtung im Unternehmen initiieren, ja auch kontrollieren. Ein Beispiel dafür ist die Portfolioanalyse als Vorstufe der Investitionsplanung. Ob es immer sinnvoll ist, die energetisch schlechtesten Gebäude als erstes anzupacken („worst first“) oder ob zunächst die kommunale Wärmeplanung bzw. die sonstige Verfügbarkeit grüner Energie geprüft wird, gehört zu den Denkanstößen, die von diesen Generalisten erwartet werden sollten.
Ob diese ExpertInnen im eigenen Management sitzen oder projektbezogen extern hinzugezogen werden, unterscheidet sich von Unternehmen zu Unternehmen. Aber ohne den 360 Grad-Blick können weder die ökonomischen noch technischen und die klimapolitischen Herausforderungen gemeistert werden.